Quelle: Philosophisches Wörterbuch; Herausgeber: Georg Klaus, Manfred Buhr VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1974, Bd.2,S.833-839 – MEW, Bd. 4 und LW. Bd.20
Die Nation
Struktur- und Entwicklungsform der menschlichen Gesellschaft, die gesetzmäßig mit der Herausbildung der ökonomischen Gesellschaftsform des Kapitalismus als Produkt ökonomischer, hierauf beruhend auch sozialpolitischer und ideologischer Entwicklungsprozesse und historischer Klassenkämpfe entsteht; ihre Funktion im geschichtlichen Entwicklungsprozess der Gesellschaft besteht darin, die Menschen bis zum vollen Sieg der kommunistischen Gesellschaftsformation im Weltmaßstab mittels nationaler Beziehungen zu großen, lebensfähigen und beständigen Gemeinschaften zusammenzuschließen, in deren Rahmen sich Produktivkräfte, Produktionsverhältnisse , Kultur und Wissenschaft, d.h. der gesamte gesellschaftliche Lebensprozess , in wachsenden Maßstab entfalten können. Als sozialhistorische Erscheinung ist die Nation ein wichtiges Element der Struktur der kapitalistischen und kommunistischen Gesellschaftsformation und zugleich eine bedeutende geschichtliche Kraft, welche den gesellschaftlichen Fortschritt beschleunigt. Da sie eine Entwicklungsform der Gesellschaft ist, wird Inhalt vor allem durch die ökonomischen, sozialen, politischen und ideologischen Prozesse und die Gesetzmäßigkeiten der jeweiligen Gesellschaftsformation sowie durch die Interessen der herrschenden Klassen bestimmt.
Die Nation tritt in Erscheinung und in geschichtliche Aktion als Gesamtheit von großen Menschengruppen, solange Klassen existieren als Gesamtheit von Klassen, die untereinander nationale Beziehungen entwickeln.
Dies sind gesellschaftliche Beziehungen, nämlich ökonomische, sozialpolitische, ideologische Beziehungen, die sich auf einer durch die frühere Geschichte geprägten ethnischen Grundlage, nämlich auf einem bestimmten Territorium, in einem bestimmten Sprachgebiet und kulturellen Milieu herausbilden und den Zusammenschluß der Menschen zu einer nationalen Gemeinschaft bewirken, wobei die ökonomischen Beziehungen die bestimmende Rolle spielen. Die Interessen der herrschenden Klassen, der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Feudaladel, später zwischen Proletariat und Bourgeoisie, über einen entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der nationalen Beziehungen und der nationalen Beziehungen und der nationalen Gemeinschaft aus. Die nationale Gemeinschaft im Kapitalismus ist daher relativ, weil sie durch eine zunehmende Klassendifferenzierung und den sich verschärfenden Klassenkampf charakterisiert ist.
Die gemeinschaftsbildenden Faktoren im Entwicklungsprozess der Nation sind vor allem die auf der Grundlage der Produktivkräfte entstehende Gemeinsamkeit des Wirtschaftslebens, ein relativ geschlossenes Territorium als Siedlungsgebiet, die Gemeinsamkeit der Sprache, der Kultur, der Sitten, Gebräuche und Lebensgewohnheiten.
Allerdings konnten diese Faktoren erst im Zusammenhang mit der sich entwickelnden kapitalistischen Produktionsweise und dem sich entfaltenden Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Feudaladel ihre starke gemeinschaftsbildende Kraft gewinnen.
Auch der Staat wurde vermittels der politischen und administrativen Zentralisation zu einem wichtigen Faktor für die Herausbildung der Nation.
Die Nation als eine gesetzmäßig entstehende Struktur- und Entwicklungsform der Gesellschaft ist durch folgende allgemeine Kennzeichen charakterisiert:
durch den historischen Charakter ihrer Entstehung und Entwicklung,
durch ihre ökonomische Grundlagen, die das Wesen einer Nation bestimmen,
durch die Sprache als wichtiges Mittel des Verkehrs und
durch das Territorium, auf welchem der Zusammenschluß der nationalen Gebiete und die Errichtung des Nationalstaates erfolgt.
Diese wissenschaftliche Auffassung der Nation ist ein untrennbarer Bestandteil der materialistischen Geschichtsauffasssung und steht im striktem Gegensatz zu den verschiedenen Theorien, die in der bürgerlichen Philosophie, Soziologie und Geschichtsschreibung über Wesen, Entstehung und Rolle der Nation entwickelt worden sind.
Der Begriff der Nation hat bereits eine längere Entwicklung erfahren, bevor er im Marxismus-Leninismus eine wissenschaftliche Bestimmung erhielt.
Die Römer nutzten die Bezeichnung „natio“ für alle möglichen Volksstämme, bezeichneten sich selbst aber als „popolus“.
Im frühen Mittelalter wurde „natio“als Bezeichnung für alle Stämme gebraucht, erhielt im Hochmittelalter, in der Blütezeit des Feudalismus, jedoch eine überwiegend organisatorische Bedeutung, indem Universitäten, Orden, Konzilien (laut Duden Gremium von Wissenschaftlern, Studenten u. Angestellten einer Uni., kath. Kirche Versammlung von geistigen Würdenträgern.) usw. nach „natio“ gegliedert wurden, wobei das recht willkürliche Einteilungen waren, die mit Nationen im späteren Sinne nichts zu tun hatten.
Der moderne Begriff der Nation wurde erst in den ideologischen Auseinandersetzungen
Zwischen der revolutionären Bourgeoisie und der reaktionären Aristokratie, welche den Bürgerlichen Revolutionen vorangingen und sie begleiteten, geprägt haben.
Den größten Beitrag leistete die französische bürgerliche Revolution.
Die ideologischen Klassenkämpfe um den Inhalt des Nationenbegriffs sind zugleich ein Teil des realen Entwicklungsprozesses im gesellschaftlichen Bewußtsein.
Im Gegensatz zur realen Entwicklung der Nation, die auf der Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise, des Austausches, der Herausbildung des inneren Marktes erfolgte, also wesentlich das Werk der aufstrebenden Bourgeoisie und der werktätigen Massen war, bezeichnete sich die herrschende Aristokratie als Nation.
Nachdem die Bourgeoisie ökonomisch erstarkt war und ihr politisches Bewusstsein entwickelt hatte, erhob sie die Forderung, ebenfalls zur Nation zu gehören, und schließlich erklärte sie sich zum alleinigen Repräsentanten der Nation, sie konstituierte (laut Duden pol. verfassungsmäßig) sich zur Nation.
In dem Maße aber, wie die Bourgeoisie infolge des sich gesetzmäßig entwickelnden Antagonismus und Klassenkampfes zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie aufhörte, Repräsentant der Mehrheit der Nation zu sein, versuchte sie, die Arbeiterklasse, insbesondere ihre revolutionäre Vorhut, als antinational zu diffamieren , obwohl sie objektiv zum entscheidenden Repräsentanten der Nation und ihrer Interessen geworden ist.
Die verschiedenen bürgerlichen Theorien über die Nation ist ungeachtet ihrer oft unterschiedlichen Ausgangspunkte die idealistische Grundlage und der idealistische Charakter gemeinsam, weil sie die bestimmende ökonomische Grundlage der Nation ignorieren und abgeleitete bzw. zweitrangige Faktoren verabsolutieren wie z.B. den Willen, das Nationalbewusstsein, den Nationalcharakter, die Kultur, die Sprache usw.
So groß die Bedeutung dieser Faktoren im Leben der Nationen auch sein mag, sie selbst müssen aus den materiellen Existenzbedingungen der Nation, und d.h. in letzter Konsequenz aus ihrer ökonomischen Entwicklung erklärt werden.
Am meisten verbreitet in der bürgerlichen Philosophie, Soziologie und Geschichtsschreibung der Gegenwart ist die Auffassung, dass die Nation wesentlich eine Kulturgemeinschaft sei.
Zweifellos spielen kulturelle Beziehungen im nationalen Rahmen eine bedeutende Rolle im gesellschaftlichen Leben, doch beruht die kulturelle Entwicklung letzten Endes selbst auf der ökonomischen Entwicklung der betreffenden Nation, und darüber hinaus ist die Kulturgemeinschaft in jeder Klassengesellschaft relativ, denn es „gibt zwei nationale Kulturen in jeder nationalen Kultur“ (LW. 20,17)
Die idealistische Auffassung der Nation als Kulturgemeinschaft hatte in der deutschen und österreichischen Sozialdemokratie der II. Internationale starke Verbreitung gefunden.
Sie wurde auch von Politikern und Theoretikern der westdeutschen Sozialdemokratie benutzt, um den angeblichen Fortbestand einer einheitlichen deutschen Nation unter den Bedingungen der Existenz der sozialistischen DDR und der kapitalistischen BRD zu begründen.
Erst der Marxismus-Leninismus hat das Wesen der Nation, ihren Inhalt, ihre Rolle im gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß und ihre Perspektiven wissenschaftlich geklärt und der Arbeiterklasse damit auch die theoretischen Mittel gegeben, die nationalen und Internationalen Beziehungen als eine wichtige Seite des gesellschaftlichen Lebens bewusst im Interesse des gesellschaftlichen Fortschritts zu gestalten.
Die Entstehung und Entwicklung der Nationen ist ein außerordentlich komplizierter Prozeß, der im allgemeinen zwar gesetzmäßig mit der Herausbildung der kapitalistischen Gesellschaftsformation verbunden ist, aber keineswegs in allen Ländern und Völkern gleichmäßig vonstatten geht.
In Europa haben sich die ethnischen Grundlagen der späteren Nationen in einem längeren geschichtlichen Prozeß herausgebildet, der in der voll entfalteten Feudalgesellschaft
(etwa 9./10.Jahrhundert) begann und in der Folgezeit zunächst zur Entwicklung der verschiedenen Nationalitäten führte.
„Aus dem Völkergewirr des frühesten Mittelalter entwickelten sich nach und nach die neuen Nationalitäten, ein Prozeß, bei der bekanntlich in den meisten ehemals römischen Provinzen die Besiegten den Sieger, der Bauer und Städter den germanischen Herrn sich assimilierten. (angleichen, anpassen)
Die modernen Nationalitäten sind also ebenfalls das Erzeugnis der unterdrückten Klassen“ (MEW 21,395)
Eine besondere Rolle spielten in diesem Prozeß der Entstehung der Nationalitäten die sprachliche Abgrenzung, die Stammesverwandtschaften, die Ähnlichkeiten von Sitten, Gebräuche und Lebensgewohnheiten, mitunter auch natürliche, geographische Grenzen der Territorien.
„Die Sprachgruppen einmal abgegrenzt…, war es natürlich, dass sie der Staatenbildung zur gegebenen Grundlage dienten, dass die Nationalitäten anfingen, sich zu Nationen zu entwickeln. Wie mächtig dies Element schon im neunten Jahrhundert war, beweist das rasche Zusammenbrechen des Mischstaats Lotharingien.
Historischer Exkurs:
Lotharingien & Herzogtum Lothringen (843–1766)
Aus dem 843 entstandenen Lotharii Regnum („Reich des Lothar“, auch Lotharingien) entwickelte sich das Herzogtum Lothringen, das bis 1766 Teil des Heiligen Rmischen Reiches war. Es fiel dann an das Knigreich Frankreich, das bereits im vorangegangenen Jahrhundert das Elsass annektiert hatte. Das Gebiet des Herzogtums entsprach teilweise der Region Lothringen im Nordosten des heutigen Frankreichs.
Zwar blieben das ganze Mittelalter durch Sprachgrenzen und Landesgrenzen weit davon entfernt sich zu decken; aber es war doch jede Nationalität, Italien etwa ausgenommen, durch einen besondern großen Staat in Europa vertreten, und die Tendenz, nationale Staaten herzustellen, die immer klarer und bewusster hervortritt, bildet einen der wesentlichsten Fortschrittshebel des Mittelalters.“ (MEW 21,39)
Die Nationalitäten bildeten somit in Europa die naturgeschichtliche ethnische Grundlage der künftigen Nation und zugleich deren geschichtliche Vorform.
Die weitere Entwicklung der großen Nationalitäten in Verbindung mit dem Königtum, welches auf die Schaffung zentralisierter Nationalstaaten hinwirkte, schuf wesentliche Voraussetzungen für die Herausbildung der modernen Nationen.
In diesem Prozeß gingen kleinere Nationalitäten in den großen auf, wurden, teils friedlich, teils gewaltsam assimiliert, bildete sich eine gemeinsame Schriftsprache heraus und entwickelten sich Elemente des Nationalbewusstseins.
Von entscheidender Bedeutung für die Nationenwerdung war die Entstehung und Festigung beständiger ökonomischer Beziehungen durch die Entwicklung des inneren Marktes.
Erst hiermit erhielten alle anderen Entwicklungsprozesse zur Nation hin ihre bestimmende Grundlage und Stabilität.
Die Nationen unterscheiden sich voneinander durch zwei Gruppen von gesellschaftlichen Erscheinungen:
Erstens durch Aspekte der sozialökonomischen und kulturellen Entwicklung wie Niveau und Besonderheiten der Ökonomie, Eigenarten der Sozialstruktur und der politischen Organisation, Niveau des kulturellen und geistigen Lebens;
Zweitens durch spezifische Unterschiede in der Sprache, der Kultur, der Lebensweise, der Sitten, Gebräuche und Traditionen sowie der Sozialpsychose .
Die erste Gruppe von Erscheinungen enthält in sich keine spezifisch nationalen Züge, denn sie ist nur ein jeweils besonderer Ausdruck der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung und unterliegt deren allgemeinen Gesetzmäßigkeiten.
Die zweite Gruppe von Erscheinungen dagegen enthält spezifische nationale Züge, die mit der ethnischen Grundlage der Nation zusammenhängen und sich größtenteils bereits lange vor der Entstehung der Nation mit der Formung der Nationalitäten herausgebildet haben.
Während die erste Gruppe von Erscheinungen, die soziale Seite der Nation, einem Prozeß der Annäherung und Internationalisierung im Rahmen der jeweiligen ökonomischen Gesellschaftsformation unterliegt, zeigt die zweite Gruppe von Erscheinungen, die ethnische Seite der Nation, eine große Beständigkeit und verändert sich nur langsam innerhalb einer Nation unter dem bestimmenden Einfluß der sozialen Seite. Das Nationale ist auf jeder geschichtlichen Entwicklungsstufe eine dialektische Einheit von ökonomischen, sozialen, politischen, ideologischen und ethnischen Faktoren, innerhalb welcher die klassenmäßig bestmmten Faktoren entscheidend sind.
Im geschichtlichen Entwicklungsprozeß der Gesellschaft entstehen auf der Grundlage und als Entwicklungsform der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaftsformation zwei Typen von Nationen:
Die kapitalistische Nation und die sozialistische Nation, wobei die sozialistische Nation in der Regel aus der revolutionären Umgestaltung der Existenzbedingungen und des Inhalts der kapitalistischen Nation hervorgeht.
Im Allgemeinen konstituiert sich die Nation zunächst als kapitalistische Nation, welche mit der Herausbildung der kapitalistischen Gesellschaftsformation im Schoße der Feudalgesellschaft aus den Nationalitäten hervorgeht.
Entscheidende Triebkraft dieses Prozesses ist die Entwicklung der kapitalistischen Produktions- und Austauschweise.
„Die Borgeoisie hebt mehr und mehr die Zersplitterung der Produktionsmittel, des Besitzes und der Bevölkerung auf. Sie hat die Bevölkerung agglomeriert (zusammengeballt), die Produktionsmittel zentralisiert und das Eigentum in wenige Hände konzentriert. Die notwendige Folge hiervon war die politische Zentralisation. Unabhängige, fast nur verbündete Provinzen mit verschiedenen Interessen, Gesetzen, Regierungen und Zöllen wurden zusammengedrängt in eine Nation, eine Regierung, ein Gesetz, ein nationales Klasseninteresse, eine Douanenlinie.“(Zolllinien) MEW Bd.4, 466-467;Manifest der kommunistischen Partei, ab s.462 Überschrift Bourgeoisie und Proletarier)
Die Herausbildung eines Netzes ökonomischer Beziehungen gibt der werdenden kapitalistischen Nation die materielle Grundlage, auf der alle anderen nationalen Beziehungen sich entfalten und im Verlauf längerer Klassenkämpfe, die in der bürgerlichen Revolution gipfeln, der durch das absolute Königtum vorbereitete Nationalstaat entsteht. Die kapitalistische Nation beruht auf der kapitalistischen Produktionsweise, weshalb sie in antagonistische Klassen gespalten ist und durch Klassenkämpfe erschüttert wird. Ihre führende Kraft ist die Bourgeoisie, und das Schicksal der Nation ist untrennbar mit der Entwicklung des Kapitalismus und der Politik der herrschenden Klasse verbunden. Solange sich der Kapitalismus im Aufstieg befindet, kann er der Nation eine Entwicklungsperspektive bieten, und die Bourgeoisie kann als Repräsentant der Nation auftreten, weil ihre Klasseninteressen weitgehend mit den nationalen Interessen übereinstimmen. Im Stadium des Niedergangs des Kapitalismus, im Imperialismus, entsteht jedoch ein immer tiefer werdender Konflikt zwischen den Interessen der Nation und denen der herrschenden Monopolkapitalisten, weil der Imperialismus einen großen Teil der Produktivkräfte in Destruktivkräfte verwandelt und durch seine Kriegspolitik und seine wachsende Tendenz zur Reaktion nicht nur zu einem Hemmnis des weiteren Fortschritts der Nation, sondern auch zu einer Bedrohung ihrer Existenz wird.
War die kapitalistische Produktionsweise in einem langen Zeitraum ökonomische Grundlage und zugleich Triebkraft für die Entwicklung der kapitalistischen Nation, so treibt sie im Imperialismus zur Auflösung der kapitalistischen Nation und schafft die materiellen Bedingungen für deren Umwandlung in die sozialistischen Nation.
Die Produktivkräfte des Kapitalismus entwickeln sich im nationalen und zugleich im internationalen Maßstab; sie führen zur Herausbildung des Weltmarktes. Dieser hängt einerseits davon ab, wie weit die einzelnen Nationen ihre Produktivkräfte und den inneren Markt entwickeln. Der Weltmarkt wirkt also beschleunigend auf die Entwicklung der nationalen Produktivkräfte. Aber anderseits entzieht er ihnen auch den nationalen Boden und internationalisiert sie in wachsendem Maße.
„Die Bourgeoisie hat durch die Exploitation des Weltmarktes die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet … An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneineinander.“
MEW Bd.4, S.466 (Manifest der Kommunistischen Partei)
Die kapitalistische Gesellschaftsformation bringt also zwei Tendenzen in der Entwicklung der Nation und der nationalen Beziehungen hervor, die in ihrer Einheit ein allgemeines Gesetz dieser Formation sind:
Erstens die Tendenz zum Erwachen des nationalen Lebens, zum Kampf gegen nationale Unterdrückung, zur Schaffung von Nationalstaaten;
Zweitens die Tendenz zur Entwicklung der Beziehungen zwischen den Nationen, zur Herausbildung der internationalen Einheit des Kapitals und des gesamten wirtschaftlichen Lebens, zur Internationalisierung der Produktivkräfte, der sozialpolitischen Erfahrung der Völker, der Wissenschaft, Technik und gesamten Kultur.
LW Bd.20, S.12 Lenin – Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage (L. zeigt diese beiden Tendenzen dort auf.)
„Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut. Die nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr unmöglich und aus vielen, nationalen und lokalen Literaturen bildet sich eine Weltliteratur.“ MEW Bd.4, S.466 (Manifest der Kommunistischen Partei)
Diese beiden Tendenzen sind dem Kapitalismus objektiv eigen, sie beruhen in letzter Instanz auf der Entwicklung der Produktivkräfte. Die Internationalisierung des gesellschaftlichen Lebens führt zur Annäherung der Nationen wie auch zur Beschleunigung ihrer eigenen Entwicklung, sie ist daher ihrem Wesen nach ein progressiver Prozess.
Infolge der kapitalistischen Klassenherrschaft erfolgt er jedoch in antagonistischer Form, in Klasseninteressen der Bourgeoisie, insbesondere des Monopolkapitals unterworfen und daher mit der reaktionären Politik der gewaltsamen Angliederung, Unterwerfung und Ausbeutung schwächerer Nationen verbunden.
Die Ideologie dieser Politik ist der Nationalismus und Kosmopolitismus.
Das Verhältnis der Arbeiterklasse zur Nation ergibt sich folgerichtig einerseits aus den objektiven Existenzbedingungen und den geschichtlichen Zielen der Arbeiterklasse, anderseits aus der theoretischen Einsicht in das Wesen und die geschichtlichen Rolle der Nation als einer grundlegenden Entwicklungsform der Gesellschaft.
Die Arbeiterklasse ist ihrem Wesen nach zugleich eine nationale und internationale Klasse.
In dem Maße, wie die Bourgeoisie reaktionär wird und in Konflikt gerät mit den Bedürfnissen der Nation, wird die Arbeiterklasse zur führenden Kraft der Nation, welche die wahren Interessen und die Zukunft der Nation vertritt.
Der weitere Kampf der Arbeiterklasse und aller Werktätigen um die Beseitigung des Imperialismus und die Errichtung des Sozialismus verbunden.
Die Arbeiterklasse verbindet ihre soziale Aufgabe – die Befreiung der Werktätigen von Ausbeutung und Unterdrückung – mit der nationalen Aufgabe, die Nation von der Bedrohung durch den Imperialismus zu befreien und ihre friedliche Zukunft zu sichern.
Indem sie sich als die entschiedenste Vorkämpferin der nationalen Interessen bewährt, sammelt sie alle fortschrittlichen Kräfte um sich und führt die Nation auf den Weg des gesellschaftlichen Fortschritts.
Durch die sozialistischen Revolution und den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft gestaltet sie die Existenzgrundlagen der Nation um, gibt ihr einen neuen Inhalt und schafft damit einen qualitativen höheren Typ der nationalen Gemeinschaft, die sozialistische Nation.
Bei der Umgestaltung der kapitalistischen zur sozialistischen Nation bleibt die ethnische Grundlage (Sprache, Beziehungen zum Territorium, spezifische Besonderheiten der Kultur und der Sozialpsyche, Sitten, Gebräuche, Lebensgewohnheiten), während sich die soziale Natur der Nation grundlegend verändert (ökonomische und politische Beziehungen, Sozialstruktur, Inhalt der Ideologie und Kultur).
Die sozialistische Nation beruht auf der sozialistischen Produktionsweise und sie kennt keine Klassenantagonismen, sondern ist durch die wachsende politisch-moralische Einheit des Volkes gekennzeichnet, weshalb sie wesentlich stabiler als die kapitalistische Nation ist.
Die sozialistische Nation gewinnt zugleich ein neues Verhältnis zu den anderen Nationen.
„Die nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker verschwinden mehr und mehr schon mit der Entwicklung der Bourgeoisie, mit den Handelsfreiheiten, dem Weltmarkt, der Gleichförmigkeit der industriellen Produktion und der ihr entsprechenden Lebensverhältnisse. Die Herrschaft des Proletariats wird sie noch mehr verschwinden machen. In dem Maße, wie die Exploitation des einen Individuums durch das andere aufgehoben wird, wird die Exploitation einer Nation durch die andere aufgehoben. Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander.“ MEW Bd.4, S. 479
Wenn für die Beziehungen der kapitalistischen Nationen Feindschaft, Streben nach Unterdrückung, Übervorteilung und Ausbeutung anderer Nationen charakteristisch sind, so werden die Beziehungen zwischen den sozialistischen Nationen durch den sozialistischen Internationalismus bestimmt.
Die sozialistische Nation und die nationalen Beziehungen im Sozialismus sind durch die Wechselwirkung nationaler und internationaler Züge charakterisiert, wobei das spezifische Gewicht des Internationalen mit der weiteren Entwicklung des reifen Sozialismus und seinem allmählichen Übergang zum Kommunismus wächst.
Im Ergebnis dieses Prozesses entsteht eine internationale Gemeinschaft gleichberechtigter sozialistischer Nationen.
Auch in der kommunistischen Gesellschaftsformation wirken zwei Tendenzen in der Entwicklung der Nationen und der nationalen Beziehungen, die sich historisch aus den Tendenzen des Kapitalismus ergeben, aber qualitativ neuen Inhalt gewinnen.
Die erste Tendenz dieses Gesetzes des Sozialismus ist die zur freien nationalen Entwicklung durch das beständige Aufblühen der Nationen;
Die zweite Tendenz ist die zur ständigen allseitigen Annäherung der Nationen mit dem schließlichen Resultat ihrer völligen Verschmelzung in der Zukunft.
Die beiden Tendenzen dieses Gesetzes entwickeln sich im Sozialismus in harmonischer Wechselwirkung, wobei die Tendenz zur Annäherung der Nationen führend ist.
Hierdurch entsteht der sozialistische Typ der Internationalisierung des gesellschaftlichen Lebens, der frei ist von Antagonismen.
Der Marxismus – Leninismus weist alle Angriffe auf die Nation und die nationale Souveränität als angeblich überlebte Erscheinung entschieden zurück.
Er wendet sich auch gegen alle Versuche, die Annäherung der sozialistischen Nationen zu hemmen oder ihre Verschmelzung gewaltsam zu forcieren.
Bürgerlich – kosmopolitische Vorstellungen von einer raschen Errichtung eines übernationalen „Weltstaates“ haben mit der marxistischen Theorie und dem sozialistischen Internationalismus nichts gemein.
Sie spielen nur dem Imperialismus in die Hände und richten sich objektiv gegen die freie Entwicklung der sozialistischen Nationen und der jungen Nationalstaaten.