Die deutschen Gutmenschen sind mal wieder aus dem Häuschen. Völlig unüberraschend hat Erdogan die Wahlen in der Türkei gewonnen. So erreichte er bei der Präsidentschaftswahl zwischen 52 und 53 Prozent. Das Amt des Ministerpräsidenten wird nun abgeschafft wegen Erdogans „Verfassungsreform“, so das die alleinige Gestaltungsmacht nun nur noch beim Präsidenten liegt.
Diesen Sieg hat der „Sultan“ auch den „Auslandstürken“ zu verdanken – Deutschland, Österreich und der Niederlande – sowie dem Bündnis mit der „ultranationalistischen“ MHP, die zugunsten Erdogans auf einen eigenen Kandidaten verzichte und sich bis 2024 auf ein „Volksbündnis“ mit der AKP einigte.
Daneben gab es eine Parlamentwahl bei der Erdogans AKP etwa 43 Prozent erreichte, so das er einen Koalitionspartner braucht, der schon ausgemacht ist. Die MHP, zu deutsch „Partei der nationalistischen Bewegung“ kam auf etwa 12 Prozent. Jene wird nun mit der AKP koalieren und war im Wahlkampf mit der AKP in einem Wahlblock verbunden. Diese ist auch als „Graue Wölfe“ bekannt und nennt sich in Deutschland „Idealistenvereine“. Die Wölfe standen lange auf der EU-Terrorliste! Der verstorbene Parteigründer Oberst Turkesh gab stets „Mein Kampf“ als sein „Lieblingsbuch“ aus.
Die MHP war aber schon nach der Wahl 1999 in der Regierung vertreten, damals mit dem nationalistischen Sozialdemokraten von Bülent Ecevit, der sich von den Kemalisten abgespalten hatte. Dies galt als großes Comeback der Wölfe, die in den 1980er, im Ausnahmezustand verboten wurden. Damals herrschte das Militär und verbot die zivilen Parteien.
Der Oppostionsblock, bestehend vor allem aus kemalistischen Nationalisten, kam auf 33 Prozent, der nennt sich „Bündnis der Nation“. So das sich der eine Block unter „Volk“ sammelte und der andere unter „Nation“. Zwei jeweils konkurrierende nationale bis nationalistische Blöcke! Die nationalistischen Kemalisten dürften vor allem von Aleviten gewählt worden sein, AKP und MHP unter Sunniten. Daneben zog eine prokurdische Partei ein, die kurdisch-nationalistisch ist und der Behauptung nach von Erdogan als „Ableger“ der PKK gesehen wird.
Historisch gesehen ist das mit den Kurden auch nicht so einfach wie dargestellt. Die Kurden galten beim Falll des osmanischen Reiches als die „reaktionärsten“ Kräfte und führten einen „islamisch- kalifatitischen“ Aufstand gegen Atatürk an. So das der „Völkermord an den Armeniern“ davor, auch nicht von „Türken“ angeführt wurde, sondern von islamisch-erzreaktionären kurdischen Milizen, die in der Folge für den Erhalt des Kalifats kämpften.
So „einfach“ wie man meint ist der „türkische Völkermord“ auch nicht ganz. Zumindest massakrierten zunächst die Armenier 200.000 Türken und Kurden, säuberten ethnisch. Die Osmanen beginnen darauf ebenfalls Massaker. Ob es sich aber um einen „planvollen Völkermord“ handelte wird aber von vielen nicht-türkischen Historiker angezweifelt, so das diese wie die türkische Regierung von Massakern und Verbrechen sprechen, aber nicht von einem „geplanten Völkermord“.
Wenn sich also die Türkei über alle Spektren gegen den „Völkermordvorwurf“ wehrt, so mag dies nicht nur der eigenen Sicht entsprechen, sondern auch eines Teiles der historisch-wissenschaftlichen Diskussionen. So bestreiten weder Erdogan noch Kemalisten Verbrechen sondern einen „Vernichtungsplan“ der etwa vom deutschen Bundestag aus der Historie heraus gelöst würde und einseitig interpretiert werde.
In Deutschland lag die Hochburg Erdogans, so kam er hier bei den Auslandstürken die wählen durften auf 65 Prozent. In Österreich kam er auf weit über 70 Prozent. Bei der Präsidentschaftswahl wurde die AKP von der MHP unterstützt, die auf einen eigenen Präsidentschaftskandidaten verzichtete. Die „Idealistenvereine“ der MHP sollen laut Verfassungsschutz im übrigen in Deutschland wohl mehr Mitglieder haben als AfD und NPD zusammen. In der Türkei sind bei der MHP etwa 500.000 Türken eingeschrieben. In etwa so viele wie in Deuschland bei der SPD oder CDU.
So wurde natürlich ein „MHP-Sänger“ einst von „Steini“ mit einem „Integrationspreis“ gegen „Rechts“ und „Rassismus“ ausgezeichnet. Was nun „lustig-absurd“ ist, in etwa so als würde man in der Türkei sagen wir mal Frank Rennicke einen „Anti-Rechts-Preis“ verleihen.
Siehe: https://www.youtube.com/watch?v=I7t1t0_pilc
Das Anti-Erdogan-Bashing von deutschen Rechtspopulisten bis Grüne hat nun diverse Gründe, von Erdogans Einmischungspolitik in Deutschland bis hin zu linksliberalen Gedöns über die „Abschaffung der Demokratie“ und Erdogans „Türkei-Pegida“. Also von Islamisierung bis hin zu „der Diktator schafft die Demokratie ab!“
Letzteres scheint etwas abstrus zu sein. So kann man wenn es um eine liberale Demokratie nach westlichen Vorbild ginge, etwas gar nicht „abschaffen“, was es nie gab. In der Türkei gab es entweder ein Ein-Parteien-System, Militärdiktaturen, ein Parlament unter Aufsicht des Militärs oder aber es wurden Ministerpräsidenten hingerichtet, Regierungsparteien verboten. Von welcher „Demokratie“, die abgeschafft würde, die Rede sei, ist also eher unklar.
Die türkische Opposition ist selbst kein Anhänger einer sogenannten „pluralistischen Demokratie“, sondern setzt gegen den Autoratismus Erdogans nur einen eigenen. Von was genau die Freunde der türkischen „Demokratie“ in der BRD genau fabulieren ist eben arg unklar.
So das die Türken eben Autokraten oder gar „Diktatoren“ durchaus mögen. Die Phasen der Herrschaft des Militärs waren eben im Volk relativ „beliebt“. Am beliebtesten war das Ein-Parteien-System unter Atatürk. So sind die Kemalisten auch nur für eine Autokratie gegen die Erdoganisten. Für eine eigene Autokratie aber für keine „Demokratie“ im Sinne von Özdemir und Merkel. So ist man etwa für ein härteres Vorgehen gegen die Kurden und eine hätere Haltung beim Vorwurf des „Armenien-Völkermordes“. Da gilt Erdogan eher als „lusche“. Relativ gesehen unter türkischen Verhältnissen.
Nun gilt Erdogan als „Islamist“ – von der AfD bis zur Linkspartei. Dabei kommt es nun darauf an, was man darunter verstehen wird. Eher ist er ein „nationalreligiöser“, der Atatürk gar nicht ablehnt, sondern als „Retter der Türkei“ und Nationalheld verehrt, aber meint, er habe es beim antireligiösen aus seiner Sicht übertrieben. Im Grunde streiten sich fast alle Spektren um die genaue Auslegung von Atatürk und seinem Erbe. Aber vollständig gegen Atatürk ist keiner – bis auf die Kurden.
Die berühmte „Rede“ Erdogans über Bajonette, Minarette und „Demokratie“ stammt nun natürlich gar nicht von Erdogan, sondern war ein Erdogan-„Zitat“, dass sich auf Ziyap Gökalp bezog. Gökalp war der Chefideologe des türkischen Nationalismus, in der Türkei bekannt durch seine Schrif über „Turkismus“. Jener hatte sowohl einen großen Einfluss auf Atatürk, als auch auf Panturanisten und Jungtürken. So das dieser eine Mischung aus modernenen Nationalismus, Islam und Panturanismus vertrat.
Der Hinweis wurde einst auf der DS-Seite zensiert.
Erdogan ist natürlich ein „Witzbold“, wenn er ständig Deutschen und EU-Staaten „Nazimethoden“ vorwirft. So meinte er etwa auf einer Pressekonferenz zu seinem neuen Präsidalsystem, dieses habe doch in anderen Staaten auch gut funktioniert, wozu ihm unter Hitler im 3. Reich einffiel.
Für den Chauvinisten Erdogan wie auch für die Panturanisten von der MHP ist die Türkei potentiell rund. Da in Deutschland 3 Millionen Türken leben hat man Deutschland schon der Türkei zugeschlagen. Ein Polemiker könnte auch meinen das habe was mit den „Nürnberger Rassengesetzen“ zu tun. Atatürk wolle damals von Hitler wissen ob diese auch Türken betreffe, wohin die Reichsregierung in einem Brief antwortete: Nein, da man warum auch immer die Türken als „artverwandtes Blut“ einordnete.
Erdogan und darüber hinaus die türkische Politik erheben in Deutschland antideutsche chauvinistische Forderungen, die aber so nur wegen der deutschen nationalmasochistische Schwäche möglich sind. Die Türken reagieren nur produktiv auf eine Politik der Stärke, wie man es im Fall Putins sehen konnte.
So mag sich beispielsweise im Erdogan-Buch der Linkspartei-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen vieles zutreffendes finden, was aber in einem „linken Gutmenschentum“ untergeht, was es auch als rechtes Gutmenschentum gibt. Mit der Türkei ist in Wahrheit nur über eigene nationale Politik – Macht und Interessem- zu verhandeln und nicht über „Moralvorwürfe“, die stets aus einer Position der Schwäche formuliert werden.
Siehe: https://www.westendverlag.de/buch/der-fall-erdogan/
Wesentlich realistischer erscheint da ein alter „Klassiker“ des Altmeisters Scholl-Latour, der in „Allahs Schatten über Atatürk“ sich in einer „Türkenversteherei“ erging und auch in der Darstellung des deutschen Interesses.
Siehe: https://www.amazon.de/Allahs-Schatten-%C3%BCber-Atat%C3%BCrk-Zerrei%C3%9Fprobe/dp/3886806308
Die „Reislamisierung“ begann nicht unter Erdogan und auch nicht unter Erbakan, sondern bereits unter dem hingerichteten Adnan Menderes und dem sogenannten „Wunderknaben“ Turgut Özal, der „insgeheim“ einer verbotenen islamischen Bruderschaft angehörte.
Erbakans Parteien wurden immer wieder verboten, bevor diese Mitte der 90er die Regierung stellte und wieder verboten wurde. Aus dieser ging „reformiert“ die AKP hervor. Erbakans erste Partei war aber bereist in den 1970er als Koalitionsparter in einer türkischen Regierung vertreten.
Die Türkei ist selbst ein problembelandenes Land das sich im permanenten „Bürgerkrieg“ befindet: Zum einem zwischen Türken und Kurden, zwischen Aleviten und radikalen Sunniten (so werden immer wieder Aleviten von sunnitischen
Extremisten massakriert), hinzu kommt ein IS-Terrorpotential ausgelöst durch Erdogans Firt bis 2016, der massiv als blow back zurück schlug. Kaum kontrollierbar scheint auch der „tiefe Staat“, das sind staatliche Terrorgruppen die entweder von Geheimdiensten, der Armee, Teilen der Regierung geführt werden. Es bsteht zumindest in der Türkei die weit verbreitete Behauptung das diese „Kreise“ hinter Anschlägen mit hunderten Toten stecken sollen.
Kemalistische Zeitungen haben zumindest behauptet der „tiefe Staat“ könnte auch was mit den „NSU-Morden“ zu schaffen haben. Natürlich kommt dies in der Berichterstattung hier kaum vor.
Verfasser: Sozrev
Kommentare
An dieser Stelle muss ich mich einmal bei Ihnen, werter sozrev, bedanken. Ihre Artikel (besonder über Außenpolitik) sind immer wieder eine willkommene Bereicherung, da aus einer Perspektive geschrieben, die angenehm anders sowie oftmals erhellend ist. Danke und weiter so!
Danke für die netten Worten. Zum Thema „Türkei“ empfehle ich vor allem diese Bücher:
https://www.amazon.de/Allahs-Schatten-Atat%C3%BCrk-Peter-Scholl-Latour/dp/3442151376
https://www.klett-cotta.de/buch/Gesellschaft_/_Politik/Tuerkei_verstehen/75999
sowie https://www.ahriman.com/buecher/atatuerk.htm
Vielen Dank für die Buchempfehlungen! Besonders „Kemal Atatürk und die moderne Türkei“ finde ich interessant. Kommt auf die Buchliste.