Deutschland und die politischen Kämpfe des Jahres 2018

Kosmopolitischer Rechtsextremismus und kosmopolitischer Linksliberalismus bleiben politikbestimmend

Michael Nier

Nach der Wahl ist vor den Wahlen. Im Jahr 2018 werden die Landtage in Hessen und Bayern neu gewählt. 2019 sind Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen sowie die Bürgerschaftswahl in Bremen. In Sachsen findet außerdem 2019 die Kommunalwahl statt und in ganz Deutschland die Wahl zum Europaparlament. Ab sofort ist bis 2019 Wahlkampf. „The show must go on!“, spricht der gebildete Deutsche. Der Ossi kennt das als „Boschoi Theater“.

Man sollte aber den alten, Kurt Tucholsky zugeschriebenen Spruch nicht vergessen: „Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären Wahlen längst verboten!“ Diese Bundestagswahl und die Querelen einer Regierungsbildung sind nur eine Episode der Zeitgeschichte. Ein Sturm im Wasserglas des Parlamentarismus. Die Bundesrepublik ist fest gefügt und die Parteienlandschaft ist ohne Systemgefährder. Das neoliberale politische, wirtschaftliche und ideologische Paradigma hat sich in der deutschen Parteienlandschaft durchgesetzt. Die in dieser Herrschaftsideologie und -praxis steckende ungeheuerliche Anmaßung und freche Lüge wird zwar ab und an in der Kabarettsendung „Die Anstalt“ ans Licht gezerrt, aber es hat nur erheiternde Wirkung beim Publikum. Politisch ist die Wirkung bisher vernachlässigbar. Gegen das neoliberale Paradigma wird nur an den Rändern von SPD, Linken oder der AfD gemurrt. Nach meiner Kenntnis sind letztlich nur systemkonforme und wechselseitig passfähige Parteien im Bundestag. Auch wesentliche Kräfte der AfD streben nach einer Koalition mit der CDU. Jede Koalition ist heute aus den Parteien des Bundestages möglich. Alle Parteien sind miteinander passfähig, weil sie die gleichen Ideologien in freilich unterschiedlichen Intensitätsgraden vertreten. Wirkliche Kritiker der gegenwärtigen Politik sind nicht zu erkennen. Aber ein Kleinbisschen Kritik am Kapitalismus belebt natürlich das politische Geschäft. Die „Sozialistin Wagenknecht“ , so steht in Zeit-Online ( Kapitalismus: Am Sterbett des Kapitalismus) vom 27.1.2016 „will an den Eigentumsverhältnissen schrauben, damit der Kapitalismus nicht mehr ‚so viele Menschen in Schwierigkeiten bringt.’ Damit nicht mehr einige wenige die Gewinne einstreichen und die Politik bestimmen. Den Reichen das Geld wegnehmen und damit die Staatsschulden bezahlen.“ Im gleichen Artikel steht: „Niemand kann Nationalstaaten für das bessere Betriebssystem der Globalisierung halten. Das wäre ‚muffig, altbacken, und auf jeden Fall rechts’, sagt Wagenknecht. Wir werden Sahra Wagenknecht sicher in den nächsten Jahren in einer Bundesregierung wiederfinden. Auch Ärztinnen am Krankenbett des Kapitalismus werden gebraucht, die mit Akupressur, Globuli, Placebos und etwas Diät arbeiten. Schneiden strikt verboten, kräftig zur Ader lassen auch.

Das deutsche Parteiensystem lebt seit Jahrzehnten mit einer Unwucht. Es fehlen zum kompletten politischen Spektrum im Parlament eine Reihe von Parteien, welche die Interessengegensätze im Spätkapitalismus repräsentieren. Es fehlen rückwärtsgewandte nationalistische Parteien, es fehlen ausgesprochen antimonopolitische Parteien der unternehmerischen Mittelschichten, die durch die Monopolisierung in ihren Geschäftsbereichen an die Wand gedrückt worden sind und es fehlt eine nationalkommunistische Partei, wie sie heute beispielsweise von der Kommunistischen Partei Chinas repräsentiert wird und früher zuweilen von der KPD und der SED repräsentiert wurde. Die im Bundestag vertretenen Parteien betrachten die EU als historische Errungenschaft. Grüne und Linke bekennen sich ausdrücklich zur EU als internationalistischer Errungenschaft, die man für „linke“ Politik nutzen könne, wenn man nur wolle. Die Entwicklung der AfD ist offen. Auf sie konzentriert sich im Beitrittsgebiet die Hoffnung der eingeborenen Unter- und Mittelschichten nach politischer Veränderung im Land. Von allen Parteien sind Wähler zur AfD gewandert. Die Linke hat zur Bundestagswahl 2017 über 400 000 Wähler an die AfD abgegeben.

Die AfD ist bisher jedoch nur eine Variante der CDU von vor 20 Jahren und vertritt im politischen Kern den neoliberalen Zeitgeist. Da sie eine neue Partei ist, enthält sie in sich verschiedene Parteiungen, die ihre politischen Auseinandersetzungen nur zeitweilig ausgesetzt haben. Auch hier haben wir das Phänomen, dass die Mitglieder nicht genau wissen, in was für einer Partei sie überhaupt sind und die Wähler der Partei vor allem ihre eigenen politischen Hoffnungen wählen. Die AfD wird noch einige Spaltungen oder Abspaltungen erleben, bevor sie sich in die angestrebte Koalition mit der CDU nach Merkel begeben könnte. Sie öffnet damit den Weg für neue Parteien oder die Reanimation von ehemals bekannten Parteien, wie etwa der NPD. Diese hatte 1998 einen nationalkommunistischen Kurs eingeschlagen. Am 30. Juli 1998 wurde eine Delegation des NPD-Parteivorstandes, darunter auch Hans Günther Eisenecker und des NPD-Landesverbandes Sachsen, in der diplomatischen Vertretung Nordkoreas in Berlin durch den Botschafter Ri San Yu empfangen. Zum 49. Jahrstag der Gründung der VR China 1998 war eine offizielle Delegation der NPD zum Empfang in der Berliner Botschaft eingeladen und es kam zum Gespräch mit Botschafter Lu Qiutian. Die „besseren“, ebenfalls geladenen Herrschaften aus Berlin glotzten recht überrascht. Diesen historischen Klatsch erwähne ich nur um zu zeigen, dass jähe Entwicklungssprünge auch in der deutschen Parteienlandschaft möglich sind. Jähe Wendungen wird es geben, wenn es jähe Wendungen in der Wirtschaft Europas geben wird, die auch Deutschland treffen werden. Deutschland hat zu sehr eine Exportwirtschaft auf Kosten der anderen EU-Länder ausgebaut, die Verschuldung von Staat, Wirtschaft und Personen immer mehr anwachsen lassen, im Innern einen dramatischen Sozialabbau durchgezogen und wurde durch die Regierungen zielstrebig immer mehr mit Migranten angefüllt, die zukünftig eine eigene Politik gegen die ursprüngliche deutsche Mehrheitsbevölkerung machen werden. Doch seit Merkel den zuständigen Dienststellen im September 2015 die Schließung der Grenzen gegen die neue Völkerwanderung aus den Kriegs- und Elendsgebieten Asiens und Afrikas verboten hatte, beginnen die Deutschen die ganze bisherige Politik der siamesischen Parteien SPD und CDU/CSU zu hinterfragen. Die Deutschen werden wieder politisch interessiert. Ihr Interesse stammt aus Empörung. Man muss ihnen Erklärungen anbieten, die zum Weiterdenken anregen. Leider ist das nicht so einfach.

Politisch-ökonomische Kapitalismuskritik kann erklären und könnte mobilisieren

Aus jeder Kapitalismuskritik kann man was lernen. Man wird kritischer. Man versteht besser. Man entwickelt politische Gefühle. Man verwundert sich, blickt schärfer, empört sich oder man resigniert. Manchmal passiert alles in einem. Oft sind bei den vielen verfügbaren kapitalismuskritischen Texten nur Teilerklärungen zu finden oder es wird empört über Empörendes geschrieben. Es gibt aber auch aus akademischen Ecken immer wieder mal Gesamtsichten auf den Kapitalismus, die mit ökonomischen Begründungen arbeiten und Tendenzen mit ihren wesentlichen Konsequenzen zu erfassen vermögen. Auch ein moderner Patriotismus kann durch systematisches Nachdenken über den gegenwärtigen westlichen Kapitalismus begründet werden. Der Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Wolfgang Streeck hat in den „Blättern für deutsche und Internationale Politik“ eine überaus kritische Sicht auf den heutigen Kapitalismus, seine aktuellen Züge und seine Tendenzen veröffentlicht. Den Texte zum Thema , „Wie wird der Kapitalismus enden?, erschien in zwei Teilen, Teil 1 in den „Blättern“ Heft 3/ 2015 und Teil 2 im Heft 4/2015. Die Texte sind über Wikipedia oder über den genannten Artikel in der „Zeit-online“ verfügbar. Über die Internetseite der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ fallen Gebühren an. Eine biographische Skizze vom Wolfgang Streeck hat Rainer Hank veröffentlich, die auch auf der Seite des Marx-Planck Instituts für Gesellschaftsforschung zu finden ist. Rainer Hank leitet die Wirtschafts- und Finanzredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAS) und gilt als ausgesprochener Neoliberaler. Von Wolfgang Streeck scheint er jedoch schwer beeindruckt zu sein. Seine biographische Skizze anlässlich der Emeritierung von Wolfgang Streeck ist überaus freundlich und sachlich. Er veröffentlichte sie zuerst in der FAS vom 26.10.2014, Nr. 43, S. 30 unter dem Titel, „Ein vernünftiger Linker“: „Er ist einer der wichtigsten Sozialforscher Deutschlands. Dem Kapitalismus hat er nie über den Weg getraut. Heute sieht er sich bestätigt. Es ist der Lehman-Moment, der ihn bis heute nicht loslässt. Jener 15. September 2008, Symbol des weltweiten Zusammenbruchs der Finanzmärkte, hat aus einem Skeptiker einen tief enttäuschten Pessimisten gemacht.“ Hank schreibt zur Streeck weiter: „Er, der Amerika sehr gut kennt, mehrere Jahre an der Universität von Wisconsin-Madison lehrte und das Land irgendwie auch mag, ist spätestens dort ein Anwalt des ‚deutschen Modells’ geworden – er wollte den ‚rheinischen Kapitalismus’ retten, damit nicht nur die Shareholder das Sagen haben, sondern alle Stakeholder; Arbeitnehmer, Anteilseigner, Kunden, die ganze Community: die Interessen sollen in die Balance kommen. Das ist Streecks melancholische Skepsis, die wie ein Schleier über all seinen Schriften liegt. Früher, es muss in der von der Linken geschmähten Adenauerzeit gewesen sein, war der Kapitalismus schon mal menschlicher gewesen.“ Streeck hat sich immer kritisch zur EU-Politik verhalten:

„Während für viele, vor allem deutsche Ökonomen die Einführung der Gemeinschaftswährung als planwirtschaftlich-zentralistisches Projekt zur Vergemeinschaftung der Geld-, Fiskal- und Sozialpolitik gilt, hält Streeck den Euro für eine neoliberale Biestigkeit. Das erstaunt, ist aber begründet: Maastricht entmachtet die nationalen Parlamente in ihrer Budgethoheit. Wenn sie überziehen, schickt Brüssel ihnen die Troika-Kommissare ins Haus. Die von Italien oder Frankreich lange Jahre geübte politisch-demokratische Freiheit, den sozialen Frieden durch Inflationierung und Abwertung der Währung herzustellen, verbietet der Euro.“ Die spätbürgerliche Linke, welche die Globalisierung für den Beginn einer weltrevolutionären oder weltrevoluzzerischen Internationalisierung hält, kann mit Streecks Idee, demokratische Kontrollmacht in den Nationalstaaten zu fördern oder wenigstens zu erhalten, nichts anfangen. Hank kann deshalb feststellen: „Streeck hält Habermas‘ Hoffnung, es werde eines Tages eine globale Kontrolle der globalen Märkte auf transnationaler Ebene geben, für die Illusion eines Traumtänzers. Lieber setzt Streeck auf die demokratische Kontrollmacht der Nationalstaaten – wofür ihn Leute wie Habermas am liebsten aus der linken Glaubensgemeinschaft ausschließen würden.“ Dabei sind Streecks Argumentationen völlig rational.

Bevor ich auf seine Ausführungen zum „Ende des Kapitalismus“ komme, möchte ich seine positive Wertung des Nationalstaates hinweisen. Am 29.10.2017 im SWR hat Streeck einen Vortrag zum Thema gehalten: „Nicht ohne meine Identität? Die Zukunft der Nationalstaaten.“ Er wendet sich dagegen, die Nationalstaaten zugunsten transnationaler Verwaltungs- und Herrschaftsstrukturen aufzulösen – und er begründet das auch. „Anders als von den internationalistischen Globalisten behauptet, sind Nationalstaatlichkeit und nationale Souveränität vor allem aus der Perspektive expansionistischer Mächte reaktionär, deren imperialen Ambitionen sie im Wege stehen. Dies gilt für die USA, die letzten Endes nur einem einzigen Staat Souveränität zugestehen, nämlich sich selber. Es gilt auch für große Unternehmen, die nirgendwo Steuern zahlen, aber von überall Arbeitskräfte importieren wollen, deren Ausbildung ihre Herkunftsländer finanziert haben. Und es gilt für globale Bewegungen für den Islamismus, aus dessen Sicht Nationalstaaten ein Verrat an der Idee der weltweiten Gemeinde der Muslime, der Umma, sind. Allen diesen gegenüber ist daran zu erinnern, dass der weltweite Ausbau der Nationalstaatlichkeit nach 1945 ein historischer, weil Demokratie ermöglichender Fortschritt gegenüber Imperialismus und Kolonialismus war – vor allem für kleinere Länder, die andernfalls in großen Herrschaftsräumen auf – und womöglich untergegangen wären, sowie für Länder, die sich die Fähigkeit zu politischer Umverteilung von Lebenschancen bewahren wollen, statt die Ergebnisse des Marktes diesem selber zu überlassen. ‚Der Hauptfeind des Neoliberalismus’, so die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe, ist die – politisch verfasste –‚Souveränität des Volkes’.“ (Manuskript S. 9) Die Volkssouveränität, mag sie auch zeitweilig noch so deformiert sein, ist eine zukunftsoffene Errungenschaft der bürgerlichen Gesellschaft. Um sie zu kämpfen ist auch heutige politische Aufgabe!

Er führt weiter aus: „Daraus ließe sich auch für die Zukunft Europas etwas lernen. Worin immer die europäische politische Ordnung am Ende bestehen wird, sie kann nur mit den europäischen Nationalstaaten und durch sie gelingen, nicht ohne oder gegen sie. Auflösen werden sich europäische Nationalstaaten allenfalls nach unten, in kleinere Nationalstaaten, nicht nach oben in einen gesamteuropäischen Superstaat, auch wenn dessen mangelnde Demokratiefähigkeit neoliberalen Technokraten noch so attraktiv erscheinen mag. Als Verständigungs- und Solidargemeinschaften, als soziale Orte von Konflikten und Kompromissen, als Garanten kultureller Vielfalt nach innen wie außen sind die Staaten Europas unentbehrlich. Nichts spricht dafür, dass ihre Bürger sie abschaffen wollen; vieles lässt erwarten, dass sie sich ihrer koordinierten Selbstabschaffung als Orte demokratischer Regulierung globaler Märkte in den Weg stellen werden. Sicher ist, dass supranationale Zentralisierung unter gegenwärtigen Bedingungen nichts anderes bedeuten kann als technokratische Entdemokratisierung und verschärfte ‚Strukturreformen’ – mehr Wettbewerb, mehr Ungleichheit, mehr Privatisierung von Risiken usw. Widerstände dagegen haben sich lange aufgebaut und sind heute womöglich stark genug, die neoliberale Variante des europäischen Internationalismus zum Scheitern zu bringen. Worauf es ankäme wäre, die Verteidigung nationaler Autonomie und nationalstaatlicher Souveränität nicht nationalistischen Antidemokraten zu überlassen, sondern sie mit einem an die Wurzeln der kapitalistischen Gegenwartsgesellschaften gehenden Demokratisierungsprojekt zu verknüpfen.“ (Manuskript S.10) Derzeit sind aber lauter kosmopolitische Antidemokraten am Werk. Bisher kenne ich aber keine nationalistischen Antidemokraten von Gewicht, es sei denn man fällt auf die Diffamierung des politischen Gegners durch CDU, SPD, Grüne und Linke herein.

Der Nationalstaat steht großen Interessen und großen kosmopolitischen Illusionen entgegen. Streeck sieht, dass der Kapitalismus, der vor 250 Jahren gestartet war, nun von seinen „drei apokalyptischen Reitern“ heimgesucht werde: sinkendes Wachstum, wachsende Ungleichheit, steigende Schulden. Die drei Dynamiken würden sich gegenseitig verstärken. In den Blättern für deutsche und internationale Politik“ 3/2015, S.106 schreibt er: „Ich glaube, es ist höchste Zeit, angesichts der Jahrzehnte nachlassenden Wachstums, zunehmender Ungleichheit und wachsender
Verschuldung – wie auch der seit den 70er Jahren aufeinander folgenden Plagen
von Inflation, Staatsverschuldung und Finanzimplosion – den Kapitalismus
erneut als historische Erscheinung zu begreifen, das heißt als etwas, das
nicht nur einen Anfang hat, sondern auch ein Ende.“ Er begründet das ganz logisch und überraschend. „Tieferliegend geht es um die Tatsache, dass der kapitalistische Fortschritt mittlerweile buchstäblich jede Instanz, die ihn stabilisieren könnte, indem sie ihm Grenzen setzt, mehr oder weniger zerstört hat. Die Stabilität des Kapitalismus als sozioökonomisches System hing nämlich immer davon ab, dass
seine Eigendynamik durch Gegenkräfte gezügelt wurde – durch kollektive
Interessen und Institutionen, die die Kapitalakkumulation gesellschaftlichen
Kontrollen unterwarfen. Das bedeutet, dass der Kapitalismus sich dadurch
selbst den Boden unter den Füßen wegziehen kann, dass er zu erfolgreich ist.“

Im zweiten Teil, „Blätter für deutsche und internationale Politik“ 4/ 2015, S.113 vertieft er diesen Gedanken: „Ohne Gegenkräfte ist der Kapitalismus ganz auf seine eigenen Mittel angewiesen, zu denen Selbstbeherrschung und Zurückhaltung sicher nicht gehören. Das kapitalistische Profitstreben kennt kein Ende und kann es nicht kennen. Für die Vorstellung, dass weniger mehr sein könnte, hat eine kapitalistische Gesellschaft kein Verständnis; man muss sie ihr aufzwingen, anders lässt sich ihrem Fortschritt, auch wenn er letztlich zur Selbstzerstörung führt, nicht Einhalt gebieten. Schon heute, behaupte ich, befinden wir uns in einer Situation, in der der Kapitalismus unter unseren Augen daran scheitert, weil er alle Gegenkräfte ausgeschaltet hat – er stirbt an einer Überdosis seiner selbst. Um dies zu veranschaulichen, möchte ich auf fünf systemische Störungen im fortgeschrittenen Kapitalismus unserer Tage hinweisen; alle gehen in unterschiedlicher Weise darauf zurück, dass der kapitalistische Fortschritt traditionelle, ihn einhegende institutionelle und politische Schranken weggeräumt hat. Ich nenne diese Stagnation, oligarchische Umverteilung, Plünderung der öffentlichen Sphäre, Korruption und globale Anarchie.“ Das Ende, in das er den Kapitalismus taumeln sieht, ist die Desorganisation seiner selbst.

„Das Bild, das ich mir vom Ende des Kapitalismus mache – einem Ende, dem
wir uns meiner Auffassung nach gegenwärtig nähern – ist das eines aus sich
heraus, und ohne dass es einer funktionsfähigen Alternative bedürfte, chronisch
funktionsgestörten Gesellschaftssystems.“ Diesen Niedergang des Kapitalismus sieht er als Einheit von ökonomischem und moralischem. „Dieser führt schließlich dazu,“ schreibt er weiter, „dass der Kampf um die letzten verbliebenen Profitmöglichkeiten mit jedem Tag hässlicher wird und sich in Ausschlachtungsschlachten von gigantischen Ausmaßen verwandelt. Wie dem auch sei, die öffentliche Wahrnehmung des Kapitalismus ist mittlerweile von tiefem Zynismus geprägt; das System wird als eine Welt schmutziger Tricks zur endlosen Bereicherung der bereits
unendlich Reichen gesehen. Niemand glaubt mehr an eine moralische
Renaissance des Kapitalismus,… weil Kapitalismus mehr denn je gleichbedeutend mit Korruption geworden ist.“   
Schärfer kann man heute den Kapitalismus nicht charakterisieren. Aus dieser Schärfe resultiert natürlich auch der Zwang zu politischem Engagement. Doch bisher sind die Parteien, deren Funktion es eigentlich wäre, die Volkssouveränität auch gegen den neoliberalen Irrweg geltend zu machen, anscheinend selbst im Sumpf der Korruption fixiert und wagen sich nicht gegen das Trommelfeuer des Zeitgeistes Front zu machen. Die Aufgabe ist aber gestellt.

Konservativ-kulturelle Kapitalismuskritik ist edel, unscharf und resignativ

Natürlich machen sich alle Bürger in Europa Sorgen über die Entwicklungen des Kapitalismus in Europa, den kulturelle Wandel zu geschichtslosem konsumfixiertem Egoismus sowie als feindselig empfundenen islamischem Einfluß und der Rolle der EU-Administrationen, die sich immer mehr über die Interessen der Europäer zu erheben scheint. Von Berufes wegen Gebildete, wie die Professoren der „Pariser Erklärung“ machen sich aus ihrer humanistischen Bildung, ihrer geschichtlichen Erfahrung und im Wissen um die reiche Kultur der europäischen Zivilisation Sorgen um die Zukunft. Und diese Sorgen sind als so unabweisbar empfunden, dass man sich auch mit einem scharfen Dokument an alle Europäer wendet. Auch die im folgenden aufgeführte „Pariser Erklärung“ vom 7. Oktober 2017 ist eine Dokument guten Willens, das sich an kulturvolle Menschen guten Willens richtet, von denen die Autoren ganz sicher sind, dass sie nur noch ein paar Impulse benötigen, um Europa vor den Fehlentwicklungen zu retten. Sie glauben an die Vernunft der Vernünftigen und glauben zudem, dass die Obersten und politischen Gestalter Ratschlägen der Vernunft zugänglich seien. Wenn der Besorgte seine Besorgnis zum Ausdruck bringt, dann kann doch der Gebildete im hohen Rang dies nicht ignorieren. So denken sie. Das ist ein Irrtum. In der Regel wird der gute Wille, wenn er ohne Knüppel daherkommt, lächelnd ignoriert.

Wer als christlich Traditioneller oder Konservativer die heutigen Entwicklungen in den westlichen Gesellschaften anschaut, den erfasst ein Grauen. Zu recht. Es ist ein Grauen, das sich aber vor allem an den Sekundäreffekten des heutigen westlichen Welt festmacht und die tieferen Ursachen und Triebkräfte nicht zu fassen vermag. Adorján F. Kovács schreibt in „freiewelt.net“ am 11.10.2017: „ Im Mai 2017 traf sich eine Gruppe konservativer Gelehrter und Intellektueller in Paris. Sie wurden durch ihre gemeinsame Besorgnis über den gegenwärtigen Stand der europäischen Politik, Kultur, Gesellschaft – und vor allem über den Zustand des europäischen Geistes und der europäischen Vorstellungskraft – zusammengeführt. Durch Wahnvorstellungen und Selbsttäuschung und ideologische Verzerrung zerstreut Europa sein großes zivilisatorisches Erbe.“ Als Ergebnis ihrer Gedankenarbeit erschien am 7. Oktober 2017 eine „Pariser Erklärung“ mit dem Titel „Ein Europa, wo(ran) wir glauben können“. Das Dokument ist aus christlich-katholischer Haltung entstanden und setzt auf die Kraft intellektueller Überzeugung. Kovács schreibt weiter: „Anstatt einfach die Hände in fruchtloser Angst zu ringen oder der reichlichen Literatur, die den ‚Niedergang des Westens’ diagnostiziert, einen weiteren Band hinzuzufügen, glaubten die Pariser Teilnehmer, dass es wichtig sei, eine Erklärung abzugeben und dies öffentlich zu tun. Sie drückten ihre Bindung an das ‚wahre Europa’ aus und taten dies mit Gründen, die von allen anerkannt werden können.“

Dabei war es zunächst notwendig, über dieses wahre Europa, das unter den modischen Abstraktionen unserer Zeit verborgen liegt, Rechenschaft abzulegen.

An Abschnitt 4 schreiben die Autoren: „Wir sind in einer Sackgasse. Die größte Gefahr für die Zukunft Europas besteht weder in russischem Abenteurertum, noch in der Immigration von Muslimen. Das wahre Europa ist in Gefahr wegen des eisernen Griffes, den das falsche Europa auf unsere Vorstellungen ausübt. Unsere Nationen und unsere gemeinsame Kultur werden ausgehöhlt durch Illusionen und Selbsttäuschungen darüber, was Europas ist und was es sein sollte. Wir versprechen, dieser Gefahr für unsere Zukunft entgegenzutreten. Wir werden das wahre Europa verteidigen, erhalten und verfechten, jenes Europa, dem wir in Wahrheit zugehörig sind. Wir müssen das echte Europa verteidigen.“ Und in Abschnitt 7 ist zu lesen: „Das wahre Europa ist eine Gemeinschaft von Nationen. Wir haben unsere eigenen Sprachen, Traditionen und Grenzen. Trotzdem haben wir immer unsere gegenseitige Zusammengehörigkeit anerkannt, selbst wenn wir im Streit miteinander lagen – oder uns gar im Krieg befanden. Diese Einheit-in-Vielfalt scheint uns ganz natürlich; dennoch ist sie bemerkenswert und wertvoll, denn sie ist weder naturgegeben noch folgerichtig. Die früheste politische Form dieser Einheit-in-Vielfalt ist das Imperium, welches europäische Kriegsherren immer wieder versuchten zu erschaffen, Jahrhunderte nach dem Untergang des Römischen Reichs. Die Verlockung des Imperiums dauerte lange an, aber die Nationalstaaten setzten sich schließlich durch, jene Staatsform, welche Souveränität und Volk verbindet. Der Nationalstaat wurde so zum Kennzeichen Europas. Der Nationalstaat ist das Markenzeichen Europas.“ Mit diesen Sätzen haben die Autoren zweifellos recht. Aber nicht nur Europa ist durch Nationalstaaten charakterisiert, sondern auch die UNO. Vor allem im 20. Jahrhundert sind die meisten Nationalstaaten entstanden. Der Nationalstaat ist kein Relikt aus dem 19. Jahrhundert, wie es heute seine imperialistischen und seine linkslibertären Feinde behaupten. Im Abschnitt 13 und 14 werden die Autoren schärfer. „Das wahre Europa ist in Gefahr. Die Errungenschaften der Volkssouveränität, der Widerstand gegen imperiale Versuchungen, Weltoffenheit gepaart mit bürgerlichem Engagement, das christliche Erbe eines menschlichen und würdigen Lebens, der gelebte Einsatz für unsere klassischen Errungenschaften – all dies entgleitet uns. Durch die Konstruktion eines falschen Christentums der „universellen Menschenrechte“ durch die Protagonisten des falschen Europa verlieren wir unsere Heimat. Wir verlieren unsere Heimat.“ Und: „ Das falsche Europa brüstet sich mit einem nie gekannten Einsatz für die menschliche „Freiheit“. Diese Freiheit aber ist sehr einseitig. Sie gibt sich selbst als Befreiung von allen Einschränkungen aus: sexuelle Freiheit, Freiheit zur Selbstverwirklichung, Freiheit, ‚man selbst’ zu sein. Die Generation der Achtundsechziger sieht diese Freiheiten als Siege gegen ein einstmals allmächtiges und repressives kulturelles Regime. Sie stilisieren sich als die großen Befreier und behaupten, ihre Übertretungen seien anzuerkennen als vornehme moralische Errungenschaften, für welche ihnen die ganze Welt dankbar sein sollte.

Eine falsche Freiheit setzt sich durch.“ Die Bestrebungen der EU und auch die Maßnahmen der Bundesregierung, die kritischen Diskussionen der Bürger zu diffamieren, politische Bürgerbewegungen oder unliebsame Parteien zu kriminalisieren sowie ihre Mitglieder quasi als vogelfrei zu erklären, wird von den Autoren scharf kritisiert. „Zur gleichen Zeit, da wir Loblieder auf die nie dagewesene Freiheit hören, ist das Leben in Europa zunehmend flächendeckend reguliert. Regeln – oft erstellt von gesichtslosen Technokraten im Verbund mit mächtigen Interessen – beherrschen unsere Arbeitsbeziehungen, unsere Geschäftsentscheidungen, unsere Ausbildungsqualifikationen, unsere Nachrichten und unsere Unterhaltungsmedien. Und die Europäische Union versucht jetzt, die existierenden Regeln der Meinungsfreiheit zu verschärfen, einer ursprünglichen europäischen Freiheit und der unmittelbaren Verkörperung des freien Gewissens.“ Und weiter schreiben die Autoren: „Diese Regulierungen richten sich aber nicht etwa gegen Obszönitäten oder andere Anschläge auf den sittlichen Anstand im öffentlichen Leben. Stattdessen wollen Europas regierende Klassen die politische Redefreiheit einschränken. Politiker, die unangenehme Wahrheiten über sittliche Werte, den Islam oder Migration ansprechen, sollen vor den Richter gezerrt werden. Political Correctness setzt Tabus durch, die jede Herausforderung des Status quo als völlig inakzeptabel erscheinen lassen. Das falsche Europa ermutigt nicht eine Kultur der Freiheit: Es fördert eine Kultur der marktgesteuerten Homogenität und politisch erzwungenen Konformität.“

Die Autoren haben völlig recht mit ihren Beschreibungen. Aber irgendwie fehlt die ökonomische und politische Schärfe. Es sind treffende Beschreibungen, aber mehr auf einer kulturellen Höhe. Es sind Reden einer gebildeten Elite, der die wirtschaftlich und politisch herrschende Elite fremd und unheimlich geworden ist. Es ist eine Elite von gestern, die in einem wieder besseren Morgen dabei sein möchte. Die verantwortlichen Akteure der Politik und das Wesen der zur Zerstörung treibenden kapitalistischen Kräfte sowie ihre Machtzentren bleiben im Nebel der schönen Worte. Im Abschnitt 26 hoffen sie auf bessere Staatsmänner, die alles zum Besseren wenden könnten: „Um den Bann des falschen Europas und seinen utopistischen, pseudoreligiösen Kreuzzug für eine entgrenzte Welt zu brechen, braucht es eine neue Art der Staatskunst und eine neue Art von Staatsmann. Ein guter politischer Anführer steht für das Gemeinwesen einer bestimmen Gruppe Menschen ein. Ein guter Staatsmann erkennt unser gemeinsames europäisches Erbe und unsere nationalen Traditionen als wunderbar und lebensspendend an, aber ebenso als zerbrechliche Geschenke. Er lehnt dieses Erbe nicht ab oder setzt es für utopische Träume aufs Spiel. Solche Politiker erweisen sich der Aufgabe würdig, die ihnen ihre Bürger anvertraut haben; solche Politiker gieren nicht nach dem Applaus der ‚internationalen Gemeinschaft’, die tatsächlich nur PR-Abteilung einer Oligarchie ist. Wir brauchen verantwortungsvolle Staatsmänner.“ Alles richtig und sehr schön. Es kann natürlich sein, dass dieser Appell katholischer Denker gehört wird, aber neue Staatsmänner wachsen aus neuen politischen Bewegungen, für welche die Zeit gekommen ist. Die Bewegung aus dem Volk fehlt in Deutschland noch. Insofern fehlt auch noch die neu führende Elite. Vielleicht studiert sie noch oder ist gerade in einer Maßnahme der „Agentur für Arbeit“? In Deutschland ist die politische Friedhofsruhe gegenwärtig erste Bürgerpflicht. Die Regierung, die Behörden und die Konzernmedien tun alles dafür. Doch diese Ruhe ist nach dem Wahldebakel für CDU und SPD im September 2017 vorbei.

Zur Tendenz der politischen Kämpfe

In der CDU-Tageszeitung „Freie Presse“ vom 29.11.2017, S. B1, steht eine Zuschrift eines Chemnitzer Lesers mit dem Titel „Traum von der einen Partei“. Ich bringe den Text: „Ich hatte einen Traum. Es sind Neuwahlen und ich gebe meine Stimme einer Partei, die jenseits vom Schubladendenken auf ihre Fahnen geschrieben hat, ausschließlich alles für das Wohl des Volkes zu tun, ohne Gestreite und Machtgehabe von Wichtigtuern, und die mit Kompromissbereitschaft, Toleranz und Transparenz die wirklich notwendigen Lösungen anstrebt und beschließt, unabhängig von Lobbyisten und Managern. Eine Partei, die den digitalen Fortschritt so nutzt, bei Entscheidungen vorher das Volk übers Internet zu befragen. Eine Partei, die Ministerposten mit fachkompetenten Leuten besetzt, die das Gesundheitswesen von marktwirtschaftlichen Zwängen befreit und es ausschließlich auf das Wohl des Patienten richtet, und die wirkliche Steuergerechtigkeit einführt und Steuerschlupflöcher konsequent schließt. Eine Partei, die die Sicherheit des Volkes gewährleistet und ausreichend Polizei und Justizmitarbeiter einsetzt, damit kein Straftäter wegen Personalmangel davonkommt und auch solche Delikte, die ein friedliches Zusammenleben stören, wie Brandstiftung, Reifenzerstechen oder Einbruch erfolgreich geahndet und bestraft werden. Eine Partei, die soziale Gerechtigkeit herstellt, Familien und Kinder besser unterstützt, den sozialen Wohnungsbau nachweislich und spürbar fördert und für bezahlbare Mieten sorgt und den Bildungsnotstand beendet. Eine Partei, die ein Einwanderungsgesetz beschließt und die Flüchtlingspolitik zwar human, aber entsprechend den Möglichkeiten gestaltet. Eine Partei, die zwar für Europa ist, aber den aufgeblähten Verwaltungs- und Parlamentsapparat, der Milliarden verschlingt, für unnötig hält und eine kleinere europäische Koordinierungskommission sowie einen Rat der Regierungschefs, der sich zweimal im Jahr trifft, für ausreichend erachtet. Aber es ist leider nur ein Traum, solch eine Partei gibt es noch nicht.“

Die Feststellung, dass es so eine Partei noch nicht gibt, zeigt die Notwendigkeit auf, dass die Bürger die vorhandenen Parteien in solch eine Richtung zwingen müssen. In Sachsen kommt auf jeden Fall keine Ruhe mehr rein. Zur Bundestagswahl wurde die AfD die stärkste Partei vor der CDU. Sie wurde aus Protest gegen CDU und SPD gewählt. Die AfD kam auf 27% und die CDU auf 29,9 %. Es ist schon ein Stück der typischen Instinktlosigkeit der CDU-Macht, dass der neue Leiter der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung ein evangelischer Theologe namens Dr. Herbert Löffler aus Hessen geworden ist. Das Kabinett der sächsischen Landesregierung hatte diese Entscheidung am 8.8.2017 getroffen. Vermutlich hat die sächsische CDU das Ergebnis der Bundestagswahl noch nicht geahnt. Die Landesregierung bestätigt auch mit dieser Personalie die Meinung der sächsischen Bürger, dass die letztlich westdeutsche Landesregierung und die zugezogenen westdeutschen Oberschichten immer nur Westdeutsche für die wichtigen und lukrativen Posten im Lande bevorzugen. Das hält seit 1990 an. Das Wissenschaftszentrum Berlin hat eine Elitenuntersuchung in Deutschland durch geführt. Marcel Helbig schreibt in den WZB Mitteilungen vom 21.1.2015 :

„Nur 2,8 Prozent aller Entscheidungsträger in Deutschland stammen aus Ostdeutschland. Wenn wir die gleiche Chance hätten, in derartige Positionen aufzusteigen, müsste der Anteil eigentlich 17 bis 19 Prozent sein. Betrachtet man die einzelnen Bereiche, verschärft sich die Lage weiter: Anteil Ostdeutscher bei den Wirtschaftseliten 0 Prozent, bei den Wirtschaftsverbänden 0 Prozent, in der Justiz 0 Prozent, im Militär 0 Prozent, in den Medien 0 Prozent, in den Gewerkschaften 0 Prozent, Sonstige Eliten 0 Prozent, Wissenschaft 2,5 Prozent, Verwaltung 4,3 Prozent. Einzig in der Politik (13,8) und überraschender Weise bei den Kirchen (16,7) sind Ostdeutsche nur unwesentlich unterrepräsentiert.“ Raj Kollmorgen erklärt in der Sächsischen Zeitung vom 15.10.2010 „Warum eine neue Ost-Elite kaum Chancen hat“: „Zugespitzt formuliert, gründen [Netzwerke der Macht] auf sozialisatorisch bedingter Ähnlichkeit und dem Vertrauen in die Stärke des anderen (potenziellen) Eliteangehörigen. Da Ostdeutsche infolge der Beitrittslogik bis heute marginalisiert werden, verfügen sie als Außenseiter und Einzelkämpfer gerade nicht über jene Verbindungen und Machtpotenziale, um in die Netzwerke aufgenommen, durch sie gefördert und auf Spitzenpositionen gehievt zu werden.“ Das bleibt so und hat sich verfestigt.
Am 3.10.2017 stand in Zeit- online ein Artikel mit dem Titel „Sachsen: Ganz hinten, ganz unten“ von Christian Bangel. Da ist zu lesen: „ Raj Kollmorgen seufzt, wenn er solche Fragen hört. „Diese Debatte ist uralt“, sagt er. Der Soziologe ist einer der profundesten Kenner Ostdeutschlands, und er lehrt in Görlitz, der Hauptstadt dieses von der AfD gewonnenen Wahlkreises. Kollmorgen ist weit davon entfernt, mit den Wählern der AfD zu sympathisieren, doch er kann in Worte fassen, was wütende Ostdeutsche antreibt.  Er berichtet von den persönlichen Umbrüchen, dem Wegzug einer ganzen Generation. Von der Ohnmacht, den Westen zum Zuhören zu bringen. Von der aufkeimenden vorsichtigen Hoffnung, nachdem selbst die Einführung von Hartz IV überstanden war, und schließlich dem Ärger darüber, dass den Griechen und den Flüchtlingen scheinbar so leichtgiebig geholfen wurde. Dieses Bündel an Enttäuschungen habe die Menschen zu den Deutungsangeboten der DDR zurückgetrieben, zu dem also, was man schon damals in der Schule über den Kapitalismus erfahren konnte. Manche verweigerten sich inzwischen vollständig, auch ökonomische Argumente drängen mittlerweile kaum noch durch.“ Auch Pegida ist ein Ergebnis der Erinnerung an die antiimperialistischen Wertungen, die man in der DDR aufgenommen hatte. Es war nicht alles schlecht und es war nicht alles falsch!

Die Themen, welche die Bürger in Sachsen umtreiben sind stichwortartig:
Schulschließungen, Entindustrialisierung, Niedriglohngebiet, Pendlerdasein, ausgedünntes Gesundheitswesen, marode Infrastruktur, Kinderarmut, keine klaren
Aussagen zum Thema Rente, Mio – Zahlungen für verzockte Landesbank,
Grenzkriminalität, Drogenhandel mit all seinen Auswirkungen und Weggang
der Jugend und einer angstmachenden Aussage, wie sich die
Bevölkerungszahl im ländlichen Bereich entwickelt. Schon vor Jahren haben westdeutsche Forscher überlegt, welche Landstriche in Brandenburg leergezogen werden sollten, damit man die teure Infrastruktur einsparen könne. Das sind sozusagen die Ost-Themen.

Es gibt aber auch sozusagen gesamtdeutsche Themen.

1. Deutsche Geschichte, natürlich auch die Geschichte der DDR und die Wertung historischer Persönlichkeiten geschieht unter den Prämissen Politischer Korrektheit. Neben schlichter Geschichtsfälschung werden historische Personen danach bewertet, was sie im Verhältnis zu unserer Zeit nicht geleistet haben. Die Luther-Ehrung der DDR im Jahre 1983 unterscheidet sich wohltuend von den heutigen Veranstaltungen, denen Luther vor allem der Antisemit ist. Es wird einen Kampf um die geschichtliche Deutungen geben müssen.

2. Die Bundesrepublik Deutschland ist seit 1990 einem neoliberalen Zwangsumbau unterworfen worden. Nachdem die DDR nach dem Putsch in Chile das zweite Beispiel für die neoliberale Zerschlagung einer sozialen Gesellschaft geworden war, ist nun das ganze Deutschland einer neoliberalen Enteignungsstrategie unterworfen worden. CDU, SPD und Grüne haben die soziale Marktwirtschaft gemeinsam beseitigt. Dieser Prozess geht weiter und wird durch theatralisch gewährte, kleine Sozialgeschenke wie zeitweilige Rente mit 63 oder Mütterrente kaschiert. Es wird einen Kampf um die Erklärung der neoliberalen Wirtschaftspolitik und um die Eigentumsverhältnisse in Deutschland geben müssen. Die historische Frage steht auf der Tagesordnung, wem Deutschland gehört und was den Deutschen noch gehört. Dabei wird der analytischen Begriff des „Kosmopolitischen Rechtsextremismus“ eine Rolle spielen müssen, denn das westliche Finanzkapital bestimmt die Politik der Regierungen gegen die Bürger und die Politik der EU gegen die Europäer. Allein die Interessen der Hochfinanz politisch zu vertreten, ist nach den alten Maßstäben der Entwicklung politischer Begriffe schlicht und einfach Rechtsextremismus. Die kritisch denkenden und antiimperialistischen Bürger, die von der Obrigkeit frech als Rechtsextremisten, Pack oder Pöbel bezeichnet werden, sollten sich diese Diffamierung nicht gefallen lassen.

3. Die Formung des gesellschaftlichen Lebens wird weg vom wertvollen, letztlich konservativen Leben in gewachsenen Gemeinschaften hin zu Individualisierung, Egoismus, Bindungslosigkeit und Verantwortungslosigkeit getrieben. Sonderbarer Weise wird diese Entwicklung als progressiv, modern, links und emanzipatorisch bewertet. Dieser Irrtum hat eine lange Geschichte und findet starke Förderer durch diejenigen, die Völker in einen Zustand der Orientierungslosigkeit, Gefügigkeit und leeren Ersatzbefriedigungen halten oder zwingen wollen. Die natürliche Vereinzelung des kapitalistischen Individuums auf dem Markt wird positiv umgedeutet zu Egoismus und Individualismus. Diese ideologische Entwicklungslinie drückte die Lage der Kleinbürger und der vereinzelten Intellektuellen aus, die mit einem politischen Subjektivismus die Welt zur Veränderung für sich zwingen wollten. Dazu gehörten die Junghegelianer, die Anarchisten des 19. Jahrhunderts, die Frankfurter Schule, die heutige vulgäranarchistische Antifa und der aktuelle kosmopolitische Linksliberalismus mit seinem Gendergaga, dem antiweißen Rassismus und der Politischen Korrektheit. Diese Ideologie wurde neben dem Neoliberalismus, der zugleich kosmopolitischer Rechtsextremismus ist, zur Staatsdoktrin des Westens bei der Niederhaltung der Bürger. Der Bürger hat die politische Pflicht, sich gegen diese Ideologie zu wenden. Er muss politisch unkorrekt werden oder er dankt als Bürger ab.
4. Die US-Hegemonialpolitik zwingt die Europäer gegen ihre Interessen in eine Weltpolitik, die ihnen in jeder Hinsicht schadet. Die Deutschen müssen sich den Hegemonieansprüchen und den Hochrüstungszwängen durch USA und Nato entgegenstellen. Russland hat keinerlei Kriegesziele in Europa. In den politischen Kämpfen muss eine breite Friedenbewegung entstehen. Die US-Neokonservativen dürfen keinen Einfluss auf die Politik in Europa bekommen. Auch das muss ständiges Wahlkampfthema werden.

Die Wahlkämpfe in den nächsten zwei Jahren müssen vor allem die Köpfe der Deutschen klären. Dann wird auch nicht mehr unsachlich blind und gegen die eigenen Interessen gewählt. Politiker eines falsch programmierten Europas haben dann kleine Chance mehr.

Frankenberg, 30.11.2017

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